Propagandaprüfer: Geheimer Staatsvertrag vom 21. Mai 1949
- 18. Juli 2025
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Inhaltsverzeichnis
Ein angeblich geheimer Staatsvertrag zwischen den Alliierten und einer provisorischen westdeutschen Regierung vom 21. Mai 1949 wird häufig zitiert und in den sozialen Medien verbreitet. Das Dokument wirft Fragen hinsichtlich seiner Echtheit auf. In diesem Beitrag prüfen wir neutral, was für die Echtheit sprechen könnte – unter der Voraussetzung, daß der Inhalt grundsätzlich denkbar ist – und welche Merkmale gegen eine Authentizität sprechen.
Wenn es um Wahrheit und deren Ergründung geht, neigen wir Menschen grundsätzlich dazu, Informationen schneller zu glauben, die wir für möglich halten. Dabei gibt es Falschnachrichten, Propaganda und Manipulation von allen Richtungen. Denn Aufmerksamkeit und Aufregung scheinen heute eine wichtige Größe im Geschäft zu sein.Wer wirklich Fakten von Erfindung unterscheiden möchte, muß in alle Richtungen hinterfragen und überprüfen.
Inhalt: Geheimer Staatsvertrag vom 21. Mai 1949
Das Dokument behauptet unter anderem:
- eine fortdauernde Medienkontrolle durch die alliierten Mächte bis zum Jahr 2099,
- die Existenz einer sogenannten „Kanzlerakte“, die vor Amtsantritt zu unterzeichnen sei,
- die Pfändung der deutschen Goldreserven,
- sowie den Verlust einer Vertragskopie.
VS-Verschlußsache (nur von berechtigten Personen zu öffnen) --------------------------------------------- BUNDESNACHRICHTENDIENST Kontroll-Abt. II/0F NUR FÜR MINISTER S T R E N G S T E V E R T R A U L I C H K E I TVorgang: Geheimer Staatsvertrag vom 21.05.1949
Hier: Verlust der Kopie Nr. 4Sehr geehrter Herr Minister!
Kopie Nr. 4 des geheimen Staatsvertrages zwischen den Alliierten Mächten und der provisorischen Regierung Westdeutschlands vom 21.05.1949 ist endgültig abhandengekommen.
Der geheime Staatsvertrag offenbart u. a.:
– die Medienhoheit der alliierten Mächte über
deutsche Zeitungs- und Rundfunkmedien bis zum
Jahr 2099,– die sog. „Kanzlerakte“, also jenes Schrift-
stück, das jeder Bundeskanzler Deutschlands
auf Anordnung der Alliierten vor Ablegung
des Amtseides zu unterzeichnen hat,– sowie die Pfändung der Goldreserven der
Bundesrepublik durch die Alliierten.Sofern die Kopie Nr. 4 des geheimen Staatsvertrages in falsche Hände gelangen sollte, empfehle ich dringend, die Echtheit abuzuleugnen.
Hochachtungsvoll
[Unterschrift unleserlich]
Dr. Rickermann
StaatsministerOriginal erhalten am:
Z.D.A. am: 14.9.92
Wvl am:
Plausible Argumente für Echtheit (unter hypothetischer Annahme)
1. Politische Intransparenz nach 1945
Zahlreiche Vereinbarungen wurden nicht öffentlich gemacht oder erst später veröffentlicht. Beispiele:
- Operation Gladio: geheime Stay-Behind-Strukturen in Westeuropa (bekannt erst ab 1990).
- Operation Paperclip: US-Übernahme deutscher Wissenschaftler (offiziell erst ab den 1980er Jahren umfassend belegt).
- Atomwaffenstationierung in der BRD: konkrete Absprachen blieben jahrzehntelang unter Verschluß.
2. Eingeschränkte Souveränität der BRD
Die Bundesrepublik war nach ihrer Gründung 1949 in vielen Bereichen den alliierten Kontrollrechten unterworfen – u. a. bei Presse und Rundfunk.
3. Langfristige internationale Vereinbarungen:
Einige Verträge laufen oder liefen über Jahrzehnte, etwa:
- Deutschlandvertrag (1952, gültig bis 1990),
- Truppenstationierungsverträge, die bis ins 21. Jahrhundert gelten,
- Zwei-plus-Vier-Vertrag (1990), der teils bis 2030 und darüber hinaus wirksam ist.
Ein Vertrag mit Gültigkeit bis 2099 wäre daher zwar ungewöhnlich, aber nicht prinzipiell unüblich.
4. Medienkontrolle durch die Alliierten
Nach dem Krieg unterlagen alle Publikationsrechte der Kontrolle der Besatzungsmächte. Lizenzen für Presse, Radio und später Fernsehen wurden ausschließlich durch alliierte Stellen vergeben.
Argumente gegen die Echtheit
1. Anachronismus des Absenders
Das Dokument nennt den „Bundesnachrichtendienst“ (BND) als Absender – dieser wurde jedoch erst 1956 offiziell gegründet. Im Jahr 1949 existierte nur die streng geheime „Organisation Gehlen“, ohne formale Briefköpfe oder offizielle Kommunikation.
2. Unjuristische Sprache
Begriffe wie „Medienhoheit“ oder „Pfändung der Goldreserven“ sind in offiziellen Verträgen nicht gebräuchlich. Stattdessen wären Formulierungen zu erwarten wie:
- „Medienaufsicht durch die Militärregierung“
- „Vermögenssicherstellung im Rahmen alliierter Kontrolle“
- „Vertrauliche Verwaltungsanordnung“ statt „Kanzlerakte“
3. Formale Mängel
Das Dokument weist keine Aktenzeichen, keine strukturierte Gliederung (Artikel, Absätze), keine vollständigen Namen, keinen Ort der Unterzeichnung und keine diplomatischen Formalien auf. Auch mehrsprachige Ausfertigungen – wie bei internationalen Verträgen üblich – fehlen.
4. Fehlende Belegbarkeit
In Archiven des Auswärtigen Amts, des Bundestages, in alliierten Archiven oder bei Historikern gibt es keinerlei Hinweise auf ein solches Dokument.
5. Handschriftliche Anmerkungen
Hinweise wie „Original bitte vernichten!“ erscheinen plakativ. In echten VS-Dokumenten wären dienstliche Vermerke üblich wie:
- „VS – Nur für den Dienstgebrauch“
- „Nach Kenntnisnahme vernichten, Az. 1949-VS-21“
- „Vorlage bis zum 24.05. beim Referat 2“
6. Der Titel „Staatsminister der BRD“
Ein solcher Amtstitel war im Mai 1949 noch nicht institutionalisiert. Die Bundesrepublik wurde erst am 23. Mai 1949 gegründet. Eine „Regierung der BRD“ existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
7. Unbekannter Absender „Dr. Rickermann“
Eine Person mit diesem Namen ist in keiner offiziellen Quelle, Ministerliste oder Verwaltung jener Zeit belegt. Für ein angeblich so bedeutendes Dokument wäre eine solche Intransparenz des Verfassers höchst ungewöhnlich.
Vergleich mit einem echten Dokument: Besatzungsstatut (1949)
Das Besatzungsstatut vom 10. April 1949 regelte das Verhältnis der Alliierten zur entstehenden Bundesrepublik Deutschland. Es weist folgende Merkmale auf:
- Vertragspartner: USA, Großbritannien, Frankreich
- Klare juristische Sprache in gegliederter Artikelstruktur
- Ort und Datum der Unterzeichnung
- Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt
- Mehrsprachige Ausfertigung (englisch, französisch, deutsch)
- Diplomatischer Kontext und Verweis auf bestehende völkerrechtliche Grundlagen
Diese Kriterien erfüllt das zu prüfende Dokument in keiner Weise.
Geheimer Staatsvertrag von 1949: echt oder erfunden?
Auch wenn die geopolitischen Verhältnisse der Nachkriegszeit Raum für geheime Vereinbarungen ließen, weist das vorliegende Dokument zahlreiche formale, sprachliche und historische Inkonsistenzen auf. Es entspricht in keiner Weise dem Aufbau, der Sprache oder der dokumentierten Realität echter Staatsverträge jener Zeit.
Zusammenfassende Gegenüberstellung
| Kriterium | Befund | Bewertung |
|---|---|---|
| Historisches Umfeld | Könnte geheime Absprachen begünstigt haben | Neutral / teils plausibel |
| Sprachliche Qualität | Populistisch, unjuristisch | Spricht gegen Echtheit |
| Behördliche Form | Fehlende Struktur und Standards | Deutlich gegen Echtheit |
| Absender / Organisation | Anachronistisch („BND“) | Klar gegen Echtheit |
| Amtsträger & Name | Weder Amt noch Person belegt | Klar gegen Echtheit |
| Inhaltliche Tragweite | Kein Nachweis bei hoher Relevanz | Gegen Echtheit |
| Archivlage | Keine Spuren in offiziellen Archiven | Gegen Echtheit |
Echte Verträge wie das Besatzungsstatut oder der Deutschlandvertrag sind öffentlich zugänglich, eindeutig formuliert und in offiziellen Archiven überprüfbar. Verläßliche Quellen hierzu finden Sie z. B. auf:
- 1000dokumente.de
- bgbl.de – Bundesgesetzblatt
- archiv.diplo.de – Politisches Archiv des Auswärtigen Amts
Sehen Sie das anders oder haben andere Informationen? Welche Falschnachrichten sind Ihnen schon begegnet?